D I E U N T E R N E H M E R Z E I T U N G 2. QUARTAL 2021 www.wirtschaftskurier.de € 0 0 5 , : D SEIT 1958 € 0 7 5 A , : , € 0 9 5 L : , r f s 0 6 8 H C : Wasserstoff: Die Technologie entzweit VW: MAN will sie, VW nicht so sehr. Seite 37 12 EXTRA-SEITEN Bulle statt Bär? Das Börsenjahr startet im Mittel- stand furios – und bietet einige Chancen. Seite 16 2. QUARTAL 2021 „Großes entsteht immer im Kleinen“ Peter Altmaier beantwortet unseren Markt- und-Mittelstand-Fragebogen „Reiner Wein“: Der Wirtschaftsminister plaudert über die mittelständischen Unternehmen, einsame Inseln und die Vorzüge des Saarlands. Seite 20 Auferstanden aus Ruinen In der Corona-Krise erleben Gründer einen Boom – sind die alle irre oder klüger als der Rest der Welt? Batterie statt Benzin Alles, was Sie jetzt über E-Autos als Dienstwagen wissen müssen. Seite 18 www.marktundmittelstand.de Kommentar: Wahljahr I : o t o F l e g e i p s s e g a t / O G A M Wahlkampf um Corona Ein Jahr mit einer Bundes- tagswahl und fünf Landtags- wahlen, aber keinem Corona- Wahlkampf? Wie bitte soll das denn gehen? Der Wunsch, den Politiker von Philipp Amthor bis Winfried Kretsch- mann hegen, ist nicht nur wirklichkeitsfern, sondern auch das Gegenteil von dem, worauf wir Wähler ein An- recht haben. Wenn schon seit einem Jahr im größten Desaster, in das die Bunderepublik seit ihrem Bestehen hineingeschlittert ist, alle vor Schreck verstummt sind, dann ist zumindest der Wahlkampf die Zeit, wo wie- der öffentlich um den richti- gen Weg aus der Gesundheits- krise gerungen werden muss. Es gibt derzeit kein wichtige- res Thema als die Pandemie und den Umgang damit. Wir haben ein Recht darauf, dass jetzt über dieses Thema öffentlich und leidenschaft- lich gestritten wird. Wir ha- ben uns lange genug die These von der Alterativlosigkeit an- gehört, die in der Corona-Kri- se sogar von denen herunter- gebetet wird, die sonst beto- nen, dass es immer Alternati- ven gebe. Wir haben lange ge- nug eine einschneidende Ver- ordnung nach der anderen hingenommen, deren Entste- hen auf Telefonkonferenzen unter Ministerpräsidenten be- ruhte, die Hinterzimmer- statt Plenarcharakter haben. Jetzt, wo wir die Wahl haben sollen, fordern wir die öffentliche Debatte. Wir, die wir um unsere Ge- sundheit fürchten, möchten wissen, warum ein Impfstoff aus Mainz in Tel Aviv an- kommt, aber nicht im Senio- renheim um die Ecke. Wir, die wir unsere Kinder ausbilden, wollen Antworten hören, wa- rum bundesweite Schul-Apps für den Unterricht bei Benut- zung abstürzen, der Counter- strike-Server aber tadellos funktioniert. Wir, die wir 17 Jahre alt sind und unseren Schulabschluss machen wol- len, fragen, warum wir nicht zur ersten Gruppe der Ge- impften zählen, um gefahrlos jetzt die Weichen fürs Leben und für die Zukunft unseres Landes zu stellen. Wir, die wir um unsere wirtschaftliche Existenz ringen, wollen er- klärt bekommen, warum un- ser hygieneoptimiertes Res- taurant geschlossen bleiben muss, während sich bei der Würstchenbude um die Ecke Schlangen von Kunden bil- den. Wir, die wir digital leben und arbeiten, fragen uns, wo die Version 11.0 der Corona- Warn-App geblieben ist? Auf all diese Fragen wollen wir Antworten haben. Wir haben geschwiegen, weil wir gut erzogen sind. Wir haben geschwiegen, weil wir denen, die wir gewählt haben, ver- trauen. Wir haben geschwie- gen, weil wir die Unsicherheit derjenigen, die entscheiden müssen, nachvollziehen kön- nen. Aber jetzt ist Wahlkampf. Und jetzt erwarten wir von denen, die uns regieren wol- len, mehr als nur eine Ant- wort auf unsere drängenden Fragen. Oliver Stock Ob die schwäbische Hausfrau das begrüßen würde? Inmitten der Pandemie – Ende offen – nehmen Leute viel Geld in die Hand um Firmen aufzubauen. Einer bringt sogar den Investor Peter Thiel dazu, ihm über dessen US-Fonds Valar im trüben Lock- down-November 2020 rund 21 Millionen Euro anzuvertrauen. Das schaffte Ante Spittler. Nicht, dass die Geschäftsidee von ihm und seinen Mit-Gründern völlig neu wäre: Ihre Firma Moss bietet Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern Firmenkreditkarten an. Darüber können deren Mitar- beiter Rechnungen begleichen, ohne zuvor bei der Sekretärin um die Abteilungs-Kreditkarte an- halten zu müssen und ohne dass das Con trolling der Firma großen Abrechnungsaufwand hätte. „Wir sind ein New Work Enabler“, ver- spricht der Marketing-Profi Spitt- ler. Thiel, zu dem der Kontakt über befreundete Investoren zustande kam, verspricht sich von Spittler eine Erfolgsstory. Im Januar wur- de das Fintech Moss – 60 Mitarbei- ter und unterwegs in einem hoch regulierten Markt – mit bis zu 100 Millionen Euro bewertet. Klingt nach Happy End, aber auch Spittler, durchaus mit Chuz- pe gesegnet, hat Nerven gelassen. Trotzt erprobter Resilienz als Ex- McKinsey-Berater und Gründer bei Move24 (ruht in Frieden). „Ich hilft, dass ich unsere Gründung schwankte zwischen einer Grund- eher als Lebenswerk denn als kur- paranoia um meine Zukunft und zes Projekt sehe“, strahlt er. Man unfassbarer Motivation. Aber mir ahnt, für Investoren könnte er ei- ne ideale Mischung aus Think Big, Startups ziehen Startups nach sich Gute Infrastruktur lockt Gründer nach Berlin, der Rhein-Ruhr-Schiene, Hamburg und München Schleswig-Holstein Hamburg 4,2% (2,6%) Niedersachsen Bremen 5,8% (7,4%) 8,3% (9,8%) 3,1% (3,9%) Mecklenburg- Vorpommern 0,9% (1,0%) Brandenburg Nordrhein- Westfalen 19,1% (20,6%) 12,8% (14,3%) 1,0% (1,2%) 17,7% (16,1%) 1,8% (1,1%) Sachsen-Anhalt Hessen 7,3% (4,0%) Thüringen 1,0% (1,2%) 3,1% (2,8%) Sachsen Metropolregion Rhein-Rhur Rheinland-Pfalz 1,7% (2,0%) Saarland 0,9% (0,9%) Bayern 11,8% (12,9%) 6,5% (6,9%) München Gründungs-Hotspots Bundesländer 12,3% (12,5%) Baden- Württemberg n-Wert 2020: 1946; n-Wert 2019: 1933 Vorjahreswert in Klammern Quelle: Startup Monitor 2020 hat. Die Indikatoren für Qualität und Stärke des Dealflows lägen im grünen Bereich, die Zufrieden- heit mit den Einstiegsbewertungen sei deutlich höher als 2020. In die- sen Szenarien fragen sich Börsia- ner: Sind die neuen Gründer Hoff- nungs- oder Substanzwerte? Der Erfahrene: Professor Arndt Rolfs braucht niemandem mehr et- was zu beweisen. Auch nicht sich selbst. Der Neurologe gründet in Berlin Work Hard und First-Class Network sein. Clever wie eine schwäbische Hausfrau noch dazu. Deutschland gründet. Nicht nur aus der Not geboren, weil Corona den Arbeitgeber zerlegt hat und Selbstständigkeit eine Alternative ist. Auch das trauten sich viele. An- dere stolperten mit ihren Plänen in die Pandemie hinein oder gründe- ten erst recht. Nach dem heftigen Gründungseinbruch im 3. Quartal 2020 steigt die Kurve kontinuier- lich. Es ist viel Geld im Markt. Zu- mindest für Gründer im Bereich Bil- dung, Finanzen sowie Medizin und Gesundheitswesen. Im Tourismus, Medien- und Kreativbranche über- wiegt das Gegenteil. Kapital brau- chen die einen wie die anderen. Wenn’s um Geld geht, Sparkas- se? Eher nicht. 2020 finanzierten sich Gründer vor allem aus staat- lichen Fördermitteln (52 Prozent), über Business Angels (41 Prozent) und Venture Capital (42 Prozent). Exakt das Gegenteil zum Vorjahr. 2019 hängten die eigenen Er- sparnisse mit (78 Prozent) ande- re Finanzierungsquellen ab. Geld vom Staat zogen 44 Prozent, Busi- ness Angels nutzten 32 Prozent. Venture Capital war kaum begehrt (19 Prozent). Ganz anders 2021. Ge- rade vermeldete das German Ven- ture Capital Barometer der KfW, dass sich das Geschäftsklima die- ser Investoren deutlich verbessert Kritik sammeln und nicht in Produktverliebt- heit sterben. Nadine Jagoschinski, Salesrakete Serie, unter anderem den global agierenden Diagnostik-Spezialis- ten Centogene. Im Oktober 2020, als sich der harte Corona-Winter abzeichnete, stieg er dort aus. „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist.“ Gerade gründet er mit Part- nern „Arcensus“. „Eine globale, di- gitale Healthcare-Plattform, über die Patienten mit unklaren Krank- Fortsetzung auf Seite 10 T y e g r e S – k c o t s r e t t u h s : o t o F Börse: Deutschland produziert immer mehr Einhörner – Startups mit Milliardenwert. Seite 25 Lebensart: Zwölf Werke des italeni- schen Meisters Botticelli gibt es noch, eines wurde jetzt verkauft. Seite 48 I h r U n t e r n e h m e n i m W i r t s c h a s k u r i e r Die Unternehmerin in der Familie Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist einer der beliebtesten Politiker der Deutschen mit Potenzial für mehr. Seine Ehefrau ist eine der mächtigsten Unternehmerinnen des Landes. Was macht das mit seiner Politik? Seite 33 k l a B s a i h t t a M : | a p d e c n a i l l a e r u t c i p : o t o F „Familyness“ motiviert Für eine wehrhafte Marktwirtschaft Überraschende Antworten auf die Frage: Wie finde ich Personal? Reden wir übers Geld: Dieses Kapitel im Vorstellungsge- spräch wird gerade bei jun- gen Bewerberinnen und Bewerbern wieder wichtig. „Für sie ist eine attraktive Vergütung eher ausschlaggebend bei der Arbeit- geberwahl als ein gutes Arbeitskli- ma“, heißt es im Fazit einer mehr als 200-seitigen Studie, die die Stiftung Familienunternehmen bei der Uni München in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse dem Wirt- schaftsKurier exklusiv vorliegen. Damit dreht sich, zumindest aus Sicht der Familienunternehmen und was die sogenannten „Young Professionals“ angeht, ein Trend in die andere Richtung: Bei einer großen Umfrage, die beispielswei- se das Meinungsforschungsinstitut Yougov vor fünf Jahren unternom- men hatte, waren noch Dreivier- tel der befragten Angestellten der Ansicht, dass ein gutes Arbeitskli- ma wichtiger sei als ein hohes Ge- halt. Sind die Bewerber allerdings erstmal angekommen, ändern sich auch ihre Prioritäten. Auf die Frage, was sie ans Unternehmen bindet, nennen 20 Prozent das Arbeitskli- ma an erster Stelle. Die Vergütung folgt auf dem drittletzten Platz mit 8,2 Prozent Nennungen. Fortsetzung auf Seite 3 Familienunternehmen: Teamgeist hui, Standort pfui Wahrnehmung von Familienunternehmen im Vergleich zu Konzernen n=517 Flache Hierarchien Gute Atmosphäre/Teamgeist Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Arbeiten Kooperativer Führungsstil Zukunftsfähigkeit/Innovationsstärke Corporate Social Responsibility/Unternehmensethik Unterstützung von Work-Life-Balance Sichere Anstellung Gute Karriereperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten Weiterbildungsmöglichkeiten Hohe Reputation Attraktive Vergütungen und Sozialleistungen Standort Internationalität 80% 77% 76% 73% 68% 66% 58% 52% 47% 44% 37% 13% 21% 18% 20% 27% 29% 7% 2% 6% 7% 5% 5% 33% 38% 43% 48% 48% 9% 10% 10% 8% 15% 24% 21% 18% 52% 42% 57% 37% 24% 25% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70 80% 90% 100% Besser Ungefähr gleich Schlechter Quelle: Stiftung Familienunternehmen Die soziale Marktwirtschaft ge- rät aus den Fugen. Und das nicht, weil eine Pandemie dem Staat die Rolle des Retters auf- zwingt. Und auch nicht, weil No- tenbanken Geld drucken, als wä- ren sie Bäume, die im Frühjahr ihre Blätter bilden. Nein. Aus- gerechnet diejenigen, die durch die Marktwirtschaft groß gewor- den sind, sind jetzt ihrer ärgsten Feinde. Tech-Giganten wie Fa- cebook, Apple, Google, Amazon, Alibaba, Microsoft und ein paar Dutzend anderer Ikonen des di- gitalen Zeitalters haben sie in die Zange genommen. Unter dem Banner des Fortschritts zerstören sie das, was die Grund- lage unseres Wohlstandes ist. Wer nicht mitmacht, wird zum Rück- wärtsgewandten degradiert. Da- bei geht es nicht um Kritik an dem, was diese Konzerne ma- chen. Sie verbessern ohne Zwei- fel, unsere Art zu arbeiten.Dank künstlicher Intelligenz stehen wir vor einer Ära medizinischer Durchbrüche, bei denen der Co- rona-Impfstoff erst der Anfang ist. Selbstfahrende Autos machen un- sere Straßen sicherer. Die Umwelt- verschmutzung wird geringer, weil wir knappe Ressourcen effizienter Von Oliver Stock einsetzen können. Dazu kommt: In der Pandemie wäre das Leben deutlich mühsamer ohne Ama- zon, das uns das Nötigste und auch manches Unnötige direkt an die Haustür liefert. Ohne Zoom, Teams, Skype und andere Über- tragungsdienste könnten wir nicht mit unseren Kolleginnen und Kol- legen sprechen, wir könnten die Alten in unserer Familie gar nicht mehr sehen, unsere Beziehun- gen erhielten den Charakter von Briefreundschaften. Ohne Net- flix, Disney, Join und Co. würden manche Abende zäher vergehen. Nein, es geht um Kritik daran, wie diese Konzerne vorgehen. Ihre Art und Weise hinterlässt verheeren- de Kollateralschäden: Die Zustel- ler und Lagerarbeiter genießen keinen angemessenen sozialen Schutz. Sie setzen in der Pande- mie ihr Leben aufs Spiel, um mit Amazon dem lokalen Einzelhan- del endgültig den Garaus zu ma- chen. Disruptive Zerstörung und neue Monopole hebeln die Markt- wirtschaft aus den Angeln. Dazu kommt, dass im Netz alles gleich klingt, egal ob es sich um eine Re- gierungserklärung oder eine La- trinenparole handelt. Jeder ist dauernd auf Sendung, keiner auf Empfang. Hass und Mobbing zie- hen sich durch Gesprächsforen, die an sich der erhellenden Dis- kussion dienen sollten. Die Privat- sphäre, wie wir sie kannten, exis- tiert nicht mehr. Deswegen brauchen wir eine so- ziale Marktwirtschaft, die sich in ihrer Rüstungskammer auskennt. Sie hält mit dem Kartellrecht das Schwert in der Hand, um Mono- pole, die sie bedrohen, frühzeitig zu zerschlagen. Sie setzt auf ein eingeübtes Miteinander im Ar- beits- und Tarifrecht, um auch die am Fortschritt teilhaben zu lassen, die ansonsten abgehängt wür- den. Sie erwartet von Innovato- ren nicht, dass sie perfekt sind. Sie schafft aber den Rahmen dafür, dass Fragen gestellt werden kön- nen, deren Beantwortung kompli- ziert oder unbequem ist. Kurz ge- sagt, sie muss vor allem eines sein: Wehrhaft gegenüber denen, die sich als ihre Freunde bezeichnen. 4 1 9 5 0 0 7 1 0 5 0 0 4 10 8 8 3 7 Z K Z 25